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Mitte mon Amour

18 Nov

Ein U-Bahnhof mit Namen „Stadtmitte“. wer hier aussteigt, erwartet,  zumindest dem Namen gemäß sich im Zemtrum der jeweiligen Metropole zu befinden. In Frankfurt oder Hamburg, in Rom oder gar Moskau mag das funktionieren, in Berlin hingegen …

Probieren wir es andersherum: Was muss gegeben sein, damit ich einen geografischen Punkt mit einem eindeutigen Namen versehe? Ein Bezug! Okay. Da kommt aber vorher noch was anders ins Spiel. Der Bezirksname. Berlin, das wissen wir alle, ist 1920 sozusagen zwangsvereinigt worden. Da konnten die Charlottenburger mit ihrem Prachtrathaus, damals zugegebenermassen die reichste Stadt Preussens, meckern wie sie wollten, sie wurden mit den Tempelhofern, den Rixdorfern, den Spandauern (die auch ein fesches Rathaus hatten) zu Gross-Berlin zusammenvereint.

Eine echte Großstadt. Die muss natürlich auch ein Zentrum haben, eine reale Stadtmitte! Das war damals kein so großes Problem. Das gerade per Maschinengewehr pulverisierte Gebiet um Spittelmarkt, Kochstrasse, Friedrichstrasse, das Zeitungsviertel war per se das Zentrum. Und blieb es bis 1945.

Dummerweise gab es hier auch die oben erwähnte U-Bahnstation mit dem klingenden Namen Stadtmitte.

Nach 1945 hielt hier für eine Reihe von Jahren noch die U-Bahn wieder, bis im August 1961 auch damit wieder Schluß war. Die Stadtmitte existierte einfach nicht mehr. War ja auch nicht so einfach. Die Mitte welcher Stadt wollte man hier beschreiben? Die Mitte der Hauptstadt der DDR sicherlich nicht. War ja schon sozusagen Grenzgebiet. Die Mitte von Berlin (West) logischerweise auch nicht. Also gar keine Mitte. Punkt. War ja auch inzwischen ein Geisterbahnhof, an dem die Bahnen durchfuhren von West nach West.

Am nördlichen Rand von Kreuzberg drohte in den sechziger Jahren neues Ungemach. Axel Springer ließ von seinem Verlagsgebäudeneubau westliche Nachrichten in die SBZ herüberflimmern. Ungemach. Also ließ die DDR damals das ungeheuer riesige Brachgelände (wer mag, kann sich die Gebäudeschäden aus dem Krieg hier ansehen), das fürs freie Schußfeld benötigt wurde, mit einigen Hochhäusern zupflastern, die heute noch die Gemütlichlkeit der siebziger Jahre widerspiegeln.

Soweit die Vorgeschichte. Jetzt sollte man aber denken: Man ja, aber die Mauer ist doch schon seit gefühlten drei Ewigkeiten weg?

Die Realität belehrt uns hingegen, dass das zwar eine Tatsache ist, aber an den Zuständen in Mitte nicht viel geändert hat.

Berlin Mitte, Krausenstrasse — November 2009

Schutt und Ruinen. Wendet man den Kopf ein wenig nach links, glänzt der Axel-Springer Verlag aus dem benachbarten Kreuzberg.

Gut, das kann ja mal vorkommen, dass ein Grundstück, ein Gebäude aufgrund von, sagen wir mal, Erbschaftsproblemen nicht weitergenutzt werden kann. Gehen wir also mal ums Eck.

Berlin Mitte, Mauerstrasse — November 2009

Na ja, an der Mauerstrasse sieht es nicht viel einladender aus. Dreht man hier den Kopf, sieht man das Volk am Checkpoint Charlie, aber eine Stadtmitte sollte doch eventuell etwas mehr Charme bieten, als die paar abgestorbenen Grashalme hier?

Ein Wechsel der Strassenseite ist wohl jetzt angesagt, auf dem nördlichen Ufer der Leipziger muss es doch der Fortschritt schon etwas weiter sein!

Leipziger Strasse 125, Berlin Mitte — November 2009

Auch hier sieht es nicht gerade einladen aus. Auf der o.a. Karte ist die Hausnummer 125 das einzige Gebäude, was den Krieg ohne grössere Schäden überstanden hat. Hierbei handelt es sich um ein dem Bundesministerium der Finanzen (ehemals Reichsluftfahrtministerium) gegenüberstehendes Gebäude, mit der Nutzung durch das Ministerium der öffentlichen Arbeiten, später Reichsverkehrsministerium und dann Generaldirektion der Deutschen Reichsbahn. Gebaut im Jahre 1894 durch den Architekten Paul Kieschke. Das Gebäude steht unter Denkmalschutz, befindet sich im Eigentum des Bundes und wird für Umzüge noch weiterer Bundesministerien in Vorhaltung bewahrt. Großartig.

Ein paar Schritte weiter in der Wilhelmstrasse sprüht alter DDR-Charme über den Boulevard, die tschechische Botschaft grüßt vom Strasseneck und mein Blick bleibt wieder hängen ….

Wilhelmstrasse Ecke Leipziger Strasse, Berlin Mitte — November 2009

Gut. Das ist also Mitte. Stadtmitte von Berlin. Urbanes Zentrum? Never. Ich breche hier jetzt also ab, von ferne weht der Union Jack ein wenig den Hauch stadtmittelpunktähnlichen Lebens herüber, ich verzichte auf eine weitere Dokumentation des potemkischen Leipziger Platz von hinten, das hat die Berliner Presse heute bereits umfangreich getan, behalte diese Ödlandschaft mal in meinem Gedächtnis und suche mir jetzt bei dem kalten Novemberwetter einen Platz, an dem man mir einen guten Kaffee kredenzt.

Mon amour — das liebenswerte an dieser Gegend ist, dass man hier mitten in der Mitte auch absolut allein sein kann. Und die Zeit sehr langsam ist.