War ich vorher im Norden, habe ich jetzt die ganze Stadt durchkreuzt und bin eher im Südwesten gelandet. In Plagwitz um genauer zu sein. Plagwitz, bis Mitte des 19. Jahrhunderts ein Dorf mit einer Handvoll Einwohner hat sich im Zuge der Industrialisierung unter streng kapitalistischen Methoden bis Ende des Jahrhunderts zu einem grossen Industriestandort entwickelt. Klar und logisch, dass Leipzigs Stadtväter dieses florierende Fleckchen Erde schnell eingemeindet haben. War ja schon alles da: Strassenbahn (wenn auch noch mit Pferden), Eisenbahnanschluss, Kanal. An diesem Ort ließ sich der Maschinenfabrikant Swiderski gegen 1888 mit der Erweiterung seiner Maschinenfabrik nieder. Swiderski produziert recht erfolgreich Dampfmaschinen und dort, wo er seine Firma gegründet hatte, war kein Platz mehr zur Expansion.
Die Architektur entspricht der Formensprache des Wilhelminismus (noch war der erste Wilhelm auf dem Thron), Eduard Steyer und Paul Ranft waren die Architekten, die der Fabrik ihr Gesicht gaben. Pate gestanden haben hier die Gotik aber auch die englische Architekturder Tudorzeit. Wobei sich die Verspieltheit des Verwaltungsgebäudes in den Fabrikhallen selber etwas gedämpft wiederfindet. Immerhin hatte Swiderski selber genug Chuzpe, sich sein Wappen in Granit gemeißelt über die Eingangstür hängen zu lassen.
Die Firma, die mit Buchdruck-Schnellpressen und kleinen Dampfmaschinen in eine furiose Zukunft startete baute jetzt Petroleum-Motoren und Lokomobile. Bei den Motoren handelte es sich vermutlich um die ersten kommerziell einsetzbaren Dieselmotoren mit entweder Zweitakt-Verfahren oder die etwas spätere Variante mit Ventiltrieb und Viertakt.
Da es immer noch mächtig taut und das Wasser an allen nicht dafür vorgesehenen Stellen nach unten drängt, umrunde ich das Gebäude erstmal, um eine Stelle zu finden, an der man nicht unweigerlich Tropfen in den Nacken kriegt. Dabei sehe ich, dass zumindest sparsam aber sichtbar auch die Fabrikhalle das eine oder andere Türmchen bekommen hat.
Die Firma wird in eine Aktiengesellschaft umgewandelt, wobei der Patriarch zunächst noch den größten Anteil selber hält. Aber er hat Probleme. Sein Sohn ist an der Fabrik nicht interessiert, stattdessen wird er Schachspieler und das zur Verblüffung des Vaters soger ein ziemlich erfolgreicher. Seine TOchter treibt es noch viel schlimmer. Gertrude Davis ist Frauenrechtlerin, Sufragette, mit einem linken Zeitungsredakteur verheiratet (der später hohe politische Karriere macht) und Vorreiterin in vielen Frauenrechtsfragen. Auch am Anstieg der Konsum-Genossenschaften war sie beteiligt.
Im Inneren ist es leer. Das war zu erwarten. Man sieht deutlich, die später hinzugebaute (aber ewigwährende) Notlösung, zusätzlichen Produktionsplatz zwischen zwei Hallen dadurch zu nutzen, dass man einfach noch ein Dach darüberzog.
1916 kam das Unternehmen in den Besitz der Industriewerke GmbH. Jetzt wurden wieder vermehrt Druckereimaschinen produziert. das Werk war vollständig, hatte eine eigenen Giesserei und eine Wasserversorgung. Das ist der Turm vom ersten Bild, der nicht etwa die Vorstandsetage enthielt, sondern ein schnödes Wasserreservoir. Nach dem 1. Weltkrieg gehörte die Firma seit 1921 Georg Spieß, die Produktpalette blieb gleich.
Die Halle ist ausgeweidet. Sie erfährt das Schicksal ungezählter anderer aufgegebener Industriestandorte. Grossflächige Graffitti, Unmengen farbiger Paintball-Kugeln und nicht mehr der leiseste Hinweis auf das, was hiermal war. Sonst kann man mit Glück noch mal Schilder, Bedienhinweise, oder Warnungen erkennen. Das ist hier nicht mehr so.
Was in den dreissiger Jahren und im Krieg hier passiert ist, habe ich bei meinen Recherchen noch nicht so richtig herausbekommen. Vermutlich wurden auch hier kriegswichtige Güter hergesellt, von grösseren Schäden durch Bombardierung ist nichts sichtbar. Nach 1945 hat sich hier irgenwann der VEB Druckmaschinen Leipzig eingenistet und ist bis zum Ende der DDR geblieben. Gerüchteweise sollen hier auch noch Autoteile für den Wartburg hergestellt worden sein.
Möglich. Aber nichts erinnert daran.
Ich vermute, dass das Gelände trotz Denkmalschutzes irgendwann plattgemacht wird. Die Hallen aus den fünfziger Jahren, die direkt an der Strasse standen, sind bereits abgerissen. Ein paar Jahre noch warten, sagen sich die Stadtväter, dann ist alles von alleine eingefallen und wir müssen nur noch wegräumen ….
Aber so echt altes Gemäuer kann vielleicht noch ganz schön zäh sein!
Wer noch mehr sehen will, geht zum Arboretum und wir treffen uns demnächst am Postbahnhof wieder.